Gnade oder doch Leistung?
Ich kann mir vorstellen, dass es für viele schwer verständlich ist, was es nun mit „guten Werken“ und dem kostenlosen Geschenk der Gnade auf sich hat. Ist das nicht ein Widerspruch, wenn wir Christen einerseits erklären, dass wir nur durch Gnade gerettet werden können? Auf der anderen Seite hält sich bei vielen hartnäckig die Überzeugung, dass wir „gute Taten oder Werke“ vollbringen und ein guter Mensch sein müssten. Wie kann man diesen scheinbaren Widerspruch auflösen?
Einer der Gründe ist wohl in unserer Gesellschaft zu finden. Ohne Leistung bringt man es zu nichts. Wenn ich also etwas erreichen will, dann muss ich mir das verdienen. Das geht doch schon in unserer Kindheit los. Wir lernen: Räume ich brav mein Zimmer auf, darf ich eine Stunde länger fernsehen. Bringe ich ein gutes Zeugnis heim, bekomme ich eine Belohnung. Es lohnt sich also, sich anzustrengen. Und das zieht sich bis in unserer Erwachsenenalter: Wenn ich mich voll ins Zeug lege, dann bekomme ich die Beförderung usw. Auch zwischenmenschliche Beziehungen sind meist an Bedingungen geknüpft - ganz offensichtlich oder auch versteckt.
Dann gibt es aber auch Dinge im Leben, die oft als die besten Dinge beschrieben werden, die uns unverdient geschenkt werden: Die Liebe oder das Lächeln eines Kindes, Freundschaft. An vielen Orten gibt es inzwischen eine sog. „Pay-it-forward-Bewegung“: Man bezahlt beispielsweise den Kaffee oder die Mahlzeit für einen Fremden, der hinter einem ansteht. In England wird dies u.a. für Polizisten gemacht, indem im Vorfeld ein Kaffee für einen „später zufällig vorbeikommenden Polizisten“ bezahlt wird, um dessen Dienst und Opferbereitschaft anzuerkennen.
Und nun berichtet uns die Bibel, dass die Dinge im Leben, die für uns mit den höchsten Preis fordern, völlig ohne Leistung unsererseits von jemandem bezahlt und überwunden werden? Der Tod, die Vergebung aller Schuld, Scham und Sünde? Ist das nicht zu billig? Wie kann das sein? Die Antwort darauf ist: Weil es Gott alles gekostet hat, als er seinen Sohn in diese Welt schickte, damit er für die Schuld und Sünde der Menschen stirbt. Und diese Vergebung der Schuld und das ewige Leben bietet er uns an. Es ist ein Geschenk, das ich annehmen darf. Ich darf es aber auch ablehnen.
Wenn ich das Geschenk annehme, dann wird und sollte das etwas mit mir machen. Stellen wir uns noch einmal eine menschliche Liebesbeziehung vor. Jeder von uns weiß, dass er Fehler und Macken hat. Ich auch. Und dennoch liebt mich mein Mann. Und ich liebe ihn und bin dankbar für seine Liebe. Also möchte ich ihm meine Liebe auch zeigen. Wie? Indem ich ihm Freude mache - die Möglichkeiten dafür sind vielfältig. Und wenn ich dann noch weiß, dass ein bestimmtes Verhalten ihn ärgert oder gar traurig macht, dann werde ich aus Liebe versuchen, das abzustellen.
Ganz ähnlich sieht es auch in der Beziehung zu Jesus aus. Ich bin dankbar für seine Liebe und dafür, dass er für mich am Kreuz alle meine Schuld getragen hat. Werde ich im Gegenzug dann nicht auch versuchen, ihm Freude zu machen und meine Dankbarkeit dafür zu zeigen? Da kommen die „guten Werke“ ins Spiel, die dann aber keine guten „Werke“ mehr sind. Denn ich tue sie nicht, um etwas zu bekommen oder mir etwas zu verdienen. Ich habe ja schon alles von ihm geschenkt bekommen.
Wenn ich nun persönlich erleben durfte, dass mir alles aus Gnade vergeben wurde, ich wirklich frei sein darf, dann ist der Umkehrschluss auch, dass ich anderen „Gnade“ erweise, freundlich bin und auch ihnen Gutes tun möchte. Nicht weil ich muss, sondern einfach aus Dankbarkeit und Liebe zu Jesus. Jesus fordert uns zur Liebe zum Nächsten auf. Er hat diese Liebe zuerst bewiesen. Und nun darf ich diese Liebe auf unterschiedliche Weise weitergeben, z. B. durch meine Taten und mein Reden.
Daniela Bernhardt-Lohfink
Dieser Artikel ist eine Vertiefung zu dem Video "Was bist du wert?".